Härteres Sexualstrafrecht

Sexuelle Nötigung i.S.v Art. 189 StGB und Vergewaltigung i.S.v Art. 190 StGB

Amnesty International hat eine Kampagne gegen sexuelle Gewalt gestartet und eine Petition beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement lanciert.¹ Damit wurde eine Diskussion über eine Reform des Sexualstrafrechts entfacht.² Das Ziel ist es, das Geschlechtsverkehr, ohne das vorher hierfür die Zustimmung eingeholt wurde, als Vergewaltigung gelten soll.

Assistenzprofessorin Dr. Anna Coninx und Oberassistentin Dr. Nora Scheidegger haben im Juni dieses Jahres ein Schreiben verfasst in der sie aufzeigen, worin die Notwendigkeit einer Neuregelung besteht und welche Alternativen zur Verfügung stehen.³

Derzeitige Gesetzeslage

Die strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Freiheit werden in den Art. 187f. des schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Aufgezeigt werden nur diejenigen Artikel über deren Neuregelung diskutiert wird. (sexuelle Nötigung und Vergewaltigung)

Sexuelle Nötigung
Art. 189 ¹ Wer eine Person zur Duldung einer beischlafähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt, namentlich in dem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft

Eine sexuelle Nötigung wird dann begangen, wenn eine (männliche oder weibliche) Person eine andere Person aufgrund einer Nötigungshandlung zur Duldung einer beischlafsähnlichen Handlung zwingt mit dem Wissen, dass sein Vorhaben dem Willen der Person entgegenstehen könnte.

Vergewaltigung
Art. 190 ¹ Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

Man erkennt sofort, dass die Delikte ähnlich aufgebaut sind. Die Hauptunterschiede sind der Kreis der Beteiligten und die Art der Handlung. Bei der sexuellen Nötigung können männliche und weibliche Person sowohl Opfer als auch Täter sein. Vergewaltigt werden kann hingegen nur eine Frau durch einen Mann. Das Eindringen in die Scheide gilt als Vergewaltigung, nicht aber das Eindringen in den Mund oder beim erzwungenen Analverkehr. Der Unrechtsgehalt ist in beiden Fällen ähnlich weshalb auch die Strafen meist ähnlich ausfallen dürften.

Der Täter muss wissen, dass sein Vorhaben nicht geduldet wird und er muss durch die Nötigungshandlung den entgegenstehenden Willen der Person brechen wollen. Die Einwilligung ist dabei irrelevant. Der Täter bleibt demnach straflos, wenn er den Widerstand für nicht ernstgemeint hält.

Voraussetzungen der beiden Tatbestände. Ist einer der Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt (z.B. die Nötigungshandlung), so gilt auch das Delikt als nicht verübt.

Probleme an der aktuellen Gesetzeslage

Die im Auftrag von Amnesty International erstellte repräsentative Umfrage von gfs.bern (Institut für Sozialforschung, spezialisiert in Politik- und Kommunikationsforschung) ist erschreckend: 22% der befragten Frauen haben eine ungewollte sexuelle Handlung erlebt. 12% gaben an, schon einmal in ihrem Leben Geschlechtsverkehr gegen den Willen gehabt zu haben wobei 7% durch Festhalten oder Zufügen von Schmerzen gezwungen wurden. Belästigung in Form von unerwünschten Berührungen, Umarmungen oder Küssen haben 59% erlebt.

Auch verlangt das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt («Istanbul Konvention»), dass jede sexuelle Handlung ohne gegenseitige Einwilligung zu bestrafen ist.

Wie oben aufgezeigt liegt nach geltendem Recht eine sexuelle Handlung nur dann vor, wenn sie durch eine Nötigungshandlung erzwungen wird. Im Umkehrschluss liegt demnach keine Straftat vor, wenn auch keine Nötigungshandlung vorgenommen wird, auch wenn eine Einwilligung fehlen würde (z.B. durch ein ausdrückliches «Nein»). Dadurch wird indirekt vom Opfer verlangt, dass es sich aktiv zur Wehr setzen muss, um eine Handlung des Täters zu erzwingen. damit er den Tatbestand erfüllt. Problematisch ist nur, dass verschiedene Studien aufzeigen, dass Frauen in einen Schockzustand verfallen und sich somit nicht zur Wehr setzen können.

Active resistance is often considered to be the “normal” reaction during rape, but a new study found that most victims may experience a state of involuntary paralysis, called tonic immobility, during rape.⁴

Revisionsvorschläge

Im Schreiben werden mehrere Vorschläge vorgebracht, die den Problemen entgegenwirken soll. Die Bestrafung einer sexuellen Handlung ohne gegenseitige Einwilligung kann mit der Vetolösung oder mittels Zustimmungslösung erfolgen.

Vetolösung

Gemäss der Vetolösung könnte der Tatbestand so umformuliert werden, dass eine Handlungen gegen den Willen des Opfers vorgenommen wird, wenn dieses klar kommuniziert, dass es die sexuelle Handlung nicht will. Dies kann entweder explizit (Durch eine Äusserung) oder aufgrund konkludenten Verhaltens (Erstarren aufgrund eines Schockzustandes) geschehen.

Gemäss dem Schreiben werden dadurch auch die Fälle darunter subsumiert, bei denen eine nichtkonsensuale Penetration unter Ausnutzung des Überraschungseffekts vorgenommen wird. (sog. «Massage-Fälle»)

Zustimmungslösung

Bei der Vetolösung würde der Tatbestand erst dann erfüllt sein, wenn eine Ablehnung der Handlung ignoriert wird: Es wird kommuniziert, dass die Handlung nicht gewollt ist, trotzdem aber weitergemacht wird.

Die Zustimmungslösung geht einen anderen Weg: Den Tatbestand erfüllt, wer ohne Zustimmung des Gegenüber eine solche Handlung vornimmt; mithin im vornherein keine Zustimmung eingeholt hat. Dies kann natürlich auf verschiedene Arten geschehen, entweder explizit oder konkludent. Auch passives Verhalten kann mitberücksichtigt werden.

Fazit

Meines Erachtens ist eine Revision dringend nötig. Nicht nur, dass Männer derzeit grundsätzlich von Gesetzes wegen nicht vergewaltigt werden können, auch verlangt die derzeitige Regelung eine Reaktion des Opfers, die jedoch meistens wegen des Schockzustandes nicht erfolgt (erfolgen kann), womit der Täter nicht den Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt.

Ein Praxisbeispiel verdeutlicht die Problematik sehr eindrücklich: Ein Paar geht zusammen aus, sie kehren in die Wohnung zurück und der Mann will Sex. Sie ist nur Imstande, ein «nein» zu äussern. Das Bundesgericht entschied, dass keine Vergewaltigung vorliegt, denn das Opfer hätte fliehen oder sich ja wehren können.

Aufgrund solcher Fälle ist eine Revision notwendig. Gemäss der Veto-Lösung würde eine Vergewaltigung vorliegen, denn das Opfer hat sich durch das “nein” explizit geäussert. Auch gemäss der Zustimmungslösung würde hier eine Vergewaltigung vorliegen weil keine Zustimmung erfolgt ist.

Zu Beachten ist, dass bei der Zustimmungslösung viele Beweisprobleme entstehen können, denn wie erwähnt kann auch passives Verhalten als Zustimmung gewertet werden, womit nicht zwangsweise eine vorgängliche Zustimmung erforderlich ist. Die fehlende Zustimmung müsste klar ausgedrückt werden, nur, was bedeutet “klar”?

Mit Einbezug der Realität (Nicht alles ist vorausgeplant) ist die Veto-Lösung m.M.n vorzuziehen: Strafbar macht sich, wer eine Handlung trotz Ablehnung vornimmt. Bei der Zustimmungslösung werden die derzeitigen Probleme einfach durch andere ersetzt.


¹ https://www.amnesty.ch/de/themen/frauenrechte/sexuelle-gewalt/dok/2019/erst-ja-dann-ahh

² https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Sex-ohne-Einverstaendnis-soll-haerter-bestraft-werden/story/28455361;

³ https://files.newsnetz.ch/upload//2/4/244263.pdf

https://newsroom.wiley.com/press-release/acta-obstetricia-et-gynecologica-scandinavica/many-rape-victims-experience-involuntary

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