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Am 9. Februar wird über die Erweiterung der Anti-Rassismusstrafnorm abgestimmt. Vor Hass, Hetze und Diskriminierung sollen nicht nur Gruppen einer Rasse, Ethnie oder Religion, sondern auch Gruppen mit der gleichen sexuellen Orientierung geschützt werden. Anhand von zwei ausgewählte Fällen habe ich mir die Strafnorm näher angeschaut.
- Fall 1: «Genozid-Verleumdung» durch Doğu Perinçek¹
- Fall 2: «Albaner schlitzen Schweizer Auf» durch die SVP²
Zuletzt wird die Erweiterung der Strafnorm näher betrachtet und die Gründe für oder gegen die Initiative aufgezeigt.
Die Rassismusstrafnorm
Der Schutz der Rassendiskriminierung wird in Art. 261bis StGB geregelt. Durch die Strafnorm soll die Menschenwürde geschützt werden und dient mittelbar dem öffentlichen Frieden. Die Menschenwürde wird in Art. 7 BV geschützt und muss für das Verständnis der Strafnorm genauer betrachtet werden:
Art. 7 BV Menschenwürde
¹ Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.
Was genau ist die Menschenwürde und was genau wird geschützt? Das Gericht hat sich zu dieser Frage mehrfach geäussert und festgehalten, dass der Gehalt und die Tragweite der Norm offen sei, da es letztlich um das nicht fassbare Eigentliche des Menschen handelt. Zentrales Anliegen ist die «Anerkennung des Einzelnen in seiner eigenen Werthaftigkeit und individuellen Einzig- und allfälligen Andersartigkeit»³. Jedes staatliche Handeln muss an diesem fundamentalen — für die gesamte Rechtsordnung gültigem — Prinzip bemessen werden. Der Umgang mit einer offenen Norm stellt ein schwieriges Unterfangen dar: Die Ermittlung von Gehalt und Tragweite wird nicht durch eine Definition bewerkstelligt sondern durch ein von der konkreten Problemstellung ausgehendes Herantasten mit einer negativ formulierten Frage: Was ist mit der Menschenwürde nicht vereinbar?⁴
Art. 261bis StGB Rassendiskriminierung
Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft, (öffentlicher Aufruf zu Hass/Diskriminierung)
wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind, (Öffentliche Verbreitung von Ideologien)
wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt, (Propaganda zu den vorherigen Absätze)
wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht, (direkte Diskriminierung/ Leugnung des Völkermords)
wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert, (Leistungsverweigerung)
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Allen Varianten ist gemein, dass der Einzelne aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in seiner Menschenwürde verletzt wird. Dadurch bleibt der Person der Anspruch auf Achtung des Menschseins verwehrt. Wann die verschiedenen Varianten des Tatbestandes erfüllt und eine Rassendiskriminierung vorliegt, wird anhand der Fälle aufgezeigt. (Leugnung des Völkermords in Fall 1 und öffentlicher Aufruf zu Hass in Fall 2)
Fall 1: «Genozid Verleumdung»

Perincek ist ein türkischer Politiker und Parteivorsitzender der «Vatan Partisi» (türkisch für «Vaterlandspartei») und wie der Name schon erraten lässt handelt es sich um eine nationalistische Partei mit einer Anlehnung an rechtspopulistischem Gedankengut. Die Partei hat mit 0.23% Stimmenanteil keine relevante Bedeutung.
Interessant ist hingegen seine Aussage vom 24. Juli 2005 an einer Kundgebung in Lausanne, in derer er den Genozid an den Armeniern als internationale Lüge bezeichnete. Daraufhin wurde er als erste Person wegen Leugnung des Armenier-Genozid verurteilt.
Er stellte sich auf den Standpunkt, dass zwar Deportationen und Massaker stattgefunden haben, rechtfertigte die Handlungen jedoch als kriegsrechtlich zulässige Vergeltungsmassnahmen. (“Wir Osmanen wurden angegriffen”)
Die Aufgabe des Gerichts ist es nicht, Geschichtsforschung zu betreiben und den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu überprüfen; es wird auf den wissenschaftlichen Konsens abgestellt. Der Vorwurf der Rassendiskriminierung lag darin, dass die Aussagen von Perincek keinen Beitrag für die wissenschaftliche Debatte geleistet haben. Nationalistische und rassistische Hintergründe waren seine Motive. Dadurch, dass er die Armenier als die eigentlichen Aggressoren bezeichnete, hat er den Armeniern ihrer Identität beraubt und die armenische Geschichte verdreht.
Er wurde innerstaatlich durch das Bundesgericht verurteilt, zog das Urteil jedoch weiter an das Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Seine Beschwerde wurde —mit grossem Bedauern — gutgeheissen. Der Entscheid des Gerichtshofes erntete massive Kritik: Er wurde als «unerreichter Tiefpunkt» und als «in verschiedener Hinsicht erschreckend» bezeichnet.⁵
Art. 261bis Abs. 4 StGB
[Absätze 1–3]
wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
[…]
In diesem Fall liegt eine öffentliche Kundgabe durch Wort vor (Kundgabe in Opfikon, Köniz und Lausanne). Die Armenier gelten als eine Gruppe von Personen. Die Abgrenzung findet durch die Ethnie statt wenn mehrere Personen Gemeinsamkeiten aufweisen mit Bezug auf ihre Geschichte, Sprache, Tradition und Brauchtum und sich dadurch von anderen Personengruppen unterscheiden. Auch sind die Aussagen von Perincek als Verleugnung («der Völkermord ist eine internationale Lüge») anzusehen womit die Strafbarkeit grundsätzlich gegeben wäre.
Fall 2: «Kosovaren schlitzen Schweizer auf!»

Dass die SVP gerne für ihre politische Agenda die Volksstimmung ausnutzt, ist kein Geheimnis. Die SVP warb am 19. August 2011 auf ihrer Website mit dem Inserat für die Masseinwanderungsinitiative. Sie erschien auch in der Neuen Zürcher Zeitung und im St. Galler Tagblatts.
Art. 261bis Abs. 1 StGB
Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft, […]
Zweifelsohne liegt hier Öffentlichkeit vor: Nicht nur hat die SVP das Inserat auf ihrer eigenen Website veröffentlich, auch wurde es in zwei Zeitungen veröffentlicht.
Fraglich ist, ob Kosovaren eine «geschlossene Gruppe» darstellen. Tatsache ist, dass im Kosovo verschiedene Ethnien wie Albaner, Serben, Türken, Goranen und Romas leben. Unter Ethnie wird im strafrechtlichen Sinne ein Segment der Bevölkerung verstanden welches sich selbst als abgegrenzte Gruppe versteht und das vom Rest der Bevölkerung auch als Gruppe verstanden wird. Welchem «Sinn» dem Begriff «Kosovare» zukommt, muss anhand eines Durchschnittsleser beurteilt werden. Ausschlaggebend ist nicht der Wahrheitsgehalt des Inserates, sondern vielmehr seine Wirkung auf die Bevölkerung. Umfassende Kenntnisse von den politischen Vorgängen im ehemaligen Jugoslawien kann nicht erwartet werden weshalb es genügt, wenn Kosovare (in der Schweiz) als eigenständige Gruppe wahrgenommen wird.
Aufruf zu Hass oder Diskriminierung liegt dann vor, wenn ein Klima geschaffen wird, in dem Angriffe auf die Menschenwürde der Gruppe zu erwarten sind. Das Inserat stellt die Kosovaren als Gruppe in ein schlechtes Licht: Es suggeriert, dass alle Kosovaren kriminell und gewalttätig seien. Dadurch wurde versucht, eine feindselige Haltung und ein feindseliges Klima zu erschaffen, weshalb die Fachleute der SVP im Bereich der Kommunikation (come on) zu recht bestraft wurden.
Sinn und Zweck der Initiative
Bei beiden der Fälle wurde die Menschenwürde einer bestimmten Gruppe geschützt. Der Schutzgedanke ist nachvollziehbar: Den Genozid zu leugnen aus rassistischen und/oder nationalistischen Gründen, ihn zu rechtfertigen oder zu verharmlosen ist ekelhaft und menschenverachtend. Genauso verhält es sich mit dem Inserat: Es wird gegen die Kosovaren gehetzt und sie werden degradiert nur mit dem Zweck, Politik zu betreiben. Ein solches Vorgehen von Kommunikationsexperten entbehrt jedweder Logik. Vermutlich wird die SVP jede Gelegenheit ausnutzen auf eine Gruppe zu treten nur damit sie ihre Agenda durchwinken können.
Wie aus der Strafnorm ersichtlich ist erfolgt die Abgrenzung anhand der Kriterien der Rasse, Ethnie oder der Religion. Die Initiative möchte zusätzlich auch Gruppen schützen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung Opfer von Hass und Diskriminierung werden. Damit wird der Katalog an geschützten Personengruppen (um 1 Merkmal) erweitert.
Fazit
Die derzeitige Rechtslage kennt keine Möglichkeit, gegen allgemeine, herabwürdigende Aussagen über die sexuelle Orientierung vorzugehen, sie müssen hingenommen werden. Nur wenn die Aussage gegen eine Einzelperson gerichtet ist, kann Schutz durch ein Ehrverletzungsdelikt (Art. 173ff. StGB) gewährleistet werden.
Die evangelische Volkspartei und Rechtskonservative erachten die Erweiterung als unnötig, denn «Niemand kann heute abschätzen, inwieweit wissenschaftlich und weltanschaulich begründete Kritik an sexuellen Orientierungen zu strafrechtlichen Konsequenzen führen würde». Diese Aussage ist schlichtweg falsch und kaschiert meiner Meinung nach die eigentliche Motivationen der Parteien. Der Genozid-Fall hat Lehrbuchartig aufgezeigt, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung (Es ging um die Frage des Völkermordes!) unter die Meinungsfreiheit fallen würde. Hass hingegen ist keine Meinungsäusserung. Die Meinungsäusserungsfreiheit umfasst nicht das Recht, Hass zu schüren.
Die Initiative geht in die richtige Richtung; es ist jedoch äusserst zweifelhaft ob für die Gleichstellung viel erreicht wird. Die Initiative hat vielmehr symbolischen Charakter. Eine Erweiterung wäre dann zu begrüssen, wenn der Personenkreis noch weiter gefasst werden würde. Eine Selektion ist unsinnig und führt ebenfalls zu einer Diskriminierung (Warum sollen behinderte nicht geschützt werden?).
¹ Urteil (des Bundesgerichts) 6B_398/2007 vom 12. Dezember 2007.
² Urteil (des Bundesgerichts) 6B_610/2016 vom 13. April 2017.
³ BGE 132 I 49, 55 E. 5.1.
⁴ Biaggini Giovanni, in: BV Kommentar, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Auflage, Zürich 2017, Art. 7 Menschenwürde, N 6.
⁵ Marc Forster, Fall Perinçek: Der Europäische Gerichtshof stellt das Leugnen des Genozids an den Armeniern unter den Schutz der Menschenrechte, forumpoenale 7 [2014], S. 53
