Der iranische General Ghassem Qasem Soleimani war Anfang Januar von einer US-Drohne im Irak getötet worden. – dpa-infocom GmbH
Am 3. Januar wurde der iranische General Qasem Soleimani durch eine Drohne in der Nähe des Flughafens in Bagdad getötet. Die iranische Antwort auf die Tötung war der Raketenbeschuss von zwei irakischen Luftwaffenstützpunkten, auf denen auch amerikanische Soldaten stationiert waren. Seitdem scheint die Lage zu eskalieren und die Ereignisse überschlagen sich. Es wird mit Vergeltung gedroht und die Angst vor einem Kriegsausbruch und deren Folgen beschäftigt die ganze Welt. In den Medien ist sogar die Rede von einem möglichen Ausbruch eines Weltkrieges.
Er droht sogar damit, Kulturgüter, die dem Iran wichtig sind, zu zerstören.
Der Iran bezeichnete die Tötung in einem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat als „Staatsterrorismus“ und „krimineller Akt“.
„Conducted “at the direction of the President” of the United States, the assassination of Major General Qasem Soleimani, by any measure, is an obvious example of State terrorism and, as a criminal act, constitutes a gross violation of the fundamental principles of international law, including, in particular, those stipulated in the Charter of the United Nations, and thus entails the international responsibility of the United States.“
Sie fordern den Sicherheitsrat auf, ihre Verpflichtungen wahrzunehmen und diese kriminelle Handlung als völkerrechtswidrig zu verurteilen.
„At the same time, it is incumbent upon the Security Council to uphold its responsibilities and condemn this unlawful criminal act, taking into account the dire implications of such military adventurism and dangerous provocations by the United States on international peace and security.“
Im Vorliegenden wird auf die Frage eingegangen, ob eine völkerrechtskonforme Tötung vorliegt, ob der Gegenschlag eventuell ein NATO-Bündnisfall auslösen könnte und wie die Zerstörung von Kulturgütern rechtlich zu qualifizieren ist.
Das Gewalt- und Interventionsverbot
Entstehungsgeschichte
Das Kriegsführungsrecht musste viele verschiedene Phasen durchlaufen. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von einem freien Kriegsführungsrecht ausgegangen („liberium ius ad bellum„). Erst Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden Friedensbewegungen und wurden Bemühungen unternommen, Kriege einzudämmen. Diese Bemühungen mündeten in der Annahme der Konventionen zur friedlichen Streitbeilegung (1899-1907) in den Haager Friedenskonferenzen. Ein Gewaltverbot war jedoch noch nicht vorgesehen.
Der entscheidende Fortschritt kam 1928 mit dem Vertrag über die Ächtung des Krieges („Briand-Kellog-Pakt„). Dem Pakt traten 1939 63 Staaten bei (fast die gesamte Staatengemeinschaft). So heisst es in Art. I des Paktes:
Art. I Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzich-ten.
Ein umfassendes Gewaltverbot entstand erst mit der Gründung der UN im Jahre 1945 und wird in Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta festgelegt. Nebst dem Gewaltverbot regelt die UN-Charta auch die Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta) und das kollektive Sanktionsmechanismus (7. Kapitel der UN-Charta).
Art. 2
Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen:
[…]
4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.
[…]
Die Tötung des iranischen Generals könnte demnach eine Verletzung des Gewaltverbots i.S.v Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta darstellen, sofern es nicht durch das Selbstverteidigungsrecht legitimiert werden kann.
Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta
Damit das Selbstverteidigungsrecht angerufen werden kann, muss eine Selbstverteidigungslage – ein gegenwärtiger Angriff bzw. Bedrohung durch einen unmittelbar bevorstehenden Angriff – vorliegen.
Ein Angriff setzt zunächst die Anwendung von Waffengewalt voraus. Verletzungen von wirtschaftlichen oder politischen Rechten lösen das Selbstverteidigungsrecht nicht aus. Auch muss eine gewisse Intensitätsschwelle erreicht werden. Sogenannte „low intensity conflicts“ stellen noch keinen gegenwärtigen Angriff dar. Auch staatliche Passivität gegenüber terroristischen Gruppierungen, die in anderen Staaten Waffengewalt ausüben, reichen nicht aus (Beispielsweise der türkische Angriff auf syrisches Gebiet mit der Begründung, Terroristen auschalten zu wollen, ist ohne Zustimmung von Syrien grundsätzlich völkerrechtswidrig).
Als Beispiel sei das Flugzeugattentat auf das World Trade Center aufgeführt, bei der das Flugzeug als Waffe benutzt wurde.
Resolution des Sicherheitsrates 1368 vom 12. September, 2001
[…]
1. verurteilt unmissverständlich mit allem Nachdruck die grauenhaften Terroranschläge, die am 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania stattgefunden haben, und betrachtet diese Handlungen, wie alle internationalen terroristischen Handlungen, als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit;
[…]
Des Weiteren muss die Waffengewalt gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend sein. Das Selbstverteidigungsrecht setzt also einen gegenwärtigen bewaffneten Angriff voraus. Präventive Selbstverteidigung ist nur dann erlaubt, wenn der Angriff unmittelbar bevorsteht. So die „Caroline-Formel“ von 1837:
cases in which the necessity of that self-defence is instant, overwhelming, and leaving no choice of means, and no moment for deliberation.
Als Beispiel sei die präventive Zerstörung eines irakischen Atomreaktors durch Israel aufgeführt, die als völkerrechtswidrig eingestuft wurde.
Resolution des Sicherheitsrates 487 vom 19 Juni, 1981
Considering that, under the terms of Article 2, paragraph 4, of the Charter of the United Nations: „All Members shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, or in any other manner inconsistent with the purposes of the United Nations“,
Strongly condemns the military attack by Israel in clear violation of the Charter of the United Nations and the norms of international conduct;
Die „preemptive-strikes“ Sicherheitsdoktrin der USA („Bush-Doktrin„) möchte die Selbstverteidigung in solchen Fällen vorverlagern, in denen neuartige und diffuse Gefahren wie Terrorismus und Massenvernichtungswaffen ein Warten auf einen erkennbaren und unmittelbar bevorstehenden Angriff eine wirksame Verteidigung verunmöglichen würden.
Diese Doktrin konnte sich jedoch aus verschiedenen Gründen nicht durchsetzen. Die Missbrauchsgefahr ist offensichtlich: Wer entscheidet, ob eine neuartige Gefahr besteht und ob ein Zuwarten tatsächlich unmöglich ist? Befindet sich die USA seit 19 Jahren in einer Bedrohungslage aufgrund Terrorismus? Es ist die Aufgabe der UN gemäss Art. 39 UN-Charta, solche Friedensgefährdungen festzustellen und präventiv im Wege der Kollektiventscheidung militärische Massnahmen anzuordnen. Der Besitz von Atomwaffen genügt beispielsweise nicht als bewaffneter Angriff, der die Selbstverteidigung auslösen könnte.
Befindet sich die USA in einer Selbstverteidigungslage?
Mit dem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat vom 8. Januar 2020 hat die USA versucht, die Bedrohungslage darzulegen. Das Schreiben befasst sich durchgehend mit zurückliegenden und abgeschlossenen Ereignissen, eine akute Bedrohungslage kann nicht substanziiert dargelegt werden (Hinweis auf die Vorfälle an der Strasse von Hormuz; Kriminelle Vergangenheit; Unterstützung des Assad-Regimes als Kriegsverbrecher).
Inwiefern vom General eine konkrete und akute Gefahr für die Sicherheit der USA ausging, dass dessen Tötung gemäss den „Caroline„-Kriterien das einzige Mittel gewesen wäre, ist reine Spekulation. Die USA sind ihren Untersuchungs- und Aufklärungspflichten nicht nachgekommen, weshalb eine Beurteilung gar nicht möglich ist. Bis zum heutigen Zeitpunkt konnte die USA der Öffentlichkeit keine Hinweise liefern, worin der Sicherheitsgewinn der USA bestehen würde.
Ergebnis
Das Selbstverteidigungsrecht gemäss der UN-Charta setzt eine Selbstverteidigungslage voraus. Demnach muss ein bewaffneter Angriff oder eine Bedrohung durch einen unmittelbar bevorstehenden Angriff vorliegen. Die Idee der Sicherheitsdoktrin der USA, wodurch vorbeugende Angriffe möglich wären, wird von der internationaler Gemeinschaft nicht geteilt. Die USA konnten keine Bedrohungslage substanziiert vorbringen und der Sicherheitsgewinn der USA durch die Tötung ist äusserst fragwürdig. Der Angriff wird als völkerrechtswidrig zu qualifizieren sein.
Bündnisfall der NATO
Verschiedentlich wird in den Medien vom Bündnisfall gesprochen (Vgl. Welt: Müsste Deutschland im Angriffsfall den USA zur Seite stehen?). Fraglich ist, ob der Raketenbeschuss am 8. Januar auf zwei irakischen Luftwaffenstützpunkten, auf denen auch amerikanische Soldaten stationiert waren, einen solchen Bündnisfall auslösen könnte.
Der Bündnisfall auf Grundlage des NATO-Vertrages wird in Art. 5 geregelt:
Artikel 5
Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen […], Beistand leistet, […], einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, […]
Demnach wird Beistand geleistet, wenn ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere vorliegt. Art. 6 regelt dabei den geographischen Anwendungsbereich:
Artikel 6
Im Sinne des Artikels 5 gilt als bewaffneter Angriff auf eine oder mehrere der Parteien jeder bewaffnete Angriff
● auf das Gebiet eines dieser Staaten in Europa oder Nordamerika, auf die algerischen Departements Frankreichs, auf das Gebiet der Türkei oder auf die der Gebietshoheit einer der Parteien unterliegenden Inseln im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses;
● auf die Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge einer der Parteien, wenn sie sich in oder über diesen Gebieten oder irgendeinem anderen europäischen Gebiet, in dem eine der Parteien bei Inkrafttreten des Vertrags eine Besatzung unterhält oder wenn sie sich im Mittelmeer oder im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses befinden.
Da sich der Stützpunkt jedoch in der Golfregion befindet (Irak), fällt der Angriff im Umkehrschluss nicht in den geographischen Anwendungsbereich des NATO-Vertrages.
Angriff auf Kulturgüter
In seinem Tweet (siehe Anfang) erwähnte Trump, dass er diverse Gebiete des Irans im Visier hätte, darunter auch iranische Kulturgüter. Der Aufschrei auf diesen Tweet war sehr gross: In einem Konflikt stehen Kulturgüter des gegnerischen Staates unter besonderem Schutz.
Das humanitäre Völkerrecht verbietet in Art. 53 der Genfer Konvention (1. Zusatzprotokoll) jegliche „feindselige Handlungen gegen geschichtliche Denkmäler, Kunstwerke oder Kultstätten zu begehen, die zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker gehören„.
Auch würde ein Angriff auf Kulturgüter die Gerichtsbarkeit des Internationalem Strafgerichtshof begründen. Gemäss dem Art. 8 Abs. 2 lit. b ix) des Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wird als Kriegsverbrechen geahndet, wer „vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, auf geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, sofern es nicht militärische Ziele sind;„
Auch haben sowohl der Iran als auch die USA verschiedene Abkommen zum Schutz von Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten ratifiziert. (Haager Landkriegsordnung, Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten)
Er hat seinen Tweet zwar relativiert und erwähnt, dass er das internationale Recht respektieren würde. Ob er aber wirklich sich nicht des Kriegsverbrechens und des Verstosses gegen das humanitäre Völkerrecht schuldig machen wird, bleibt abzuwarten.
